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[ 5 ]I.

Rom den 13. November 1795.

Ich gebe Dir nur einzelne Töne! Meine Empfindungen, Gedanken, Erinnerung und Gegenwart, wirken zu mächtig auf mich, als daß ich irgend eines Details fähig bliebe; allein auch einzelne Töne werden für den Harmonie, der das ganze Gewebe der leicht bewegten äolischen Harfe kennt! So sey denn Dir jeder stammelnde Laut geweiht, o trauter Genius meines Lebens! Du, der mir immer gleich nahe ist, an den kalten Gestaden der heimischen Insel, auf den Gipfeln der Alpen, oder unter den Trümmern Roms!

VILLA BORGHESE.

Es war der schönste Morgen, und ich fühlte mich ganz unter Italiens Himmel, Diese Villa [ 6 ]6

ist mit holdem elysischem Reiz übergossen. Grouppe steht freundlich an Grouppe geschmiegt; die dunkle Stecheiche schirmt die zarte Thränenweide, welche die ergossenen Locken in den spiegelnden Teich des Aeskulap Tempels senkt. Runde Hügel wogen auf und ab, Pinien tragen leicht verwobene grüne Schirme in den blauen Himmel. Künstler arbeiten im Freyen, und nehmen aus der unerschöpflichen Fülle der angenehmsten Umrisse und Schattenstellen die Vor- und Hintergründe, und oft die ganze Scene ihrer Gemählde. Prächtig ist, gleich beym Eingang in diesen Zaubergarten, der Hinblick über Rom an den Janikulus und Monte Mario hinan; erhaben von der andern Seite der Villa, auf einer freyen Wiese, die Aussicht über die beherrschten Ebenen zurück, bis an den Soraktes und die beschneiten Bergrücken von Sabina.

CAMPO VACCINO, oder FORUM ROMANUM.

Ich trat leise schauernd auf den geweihten [ 7 ]7

Boden, und sah mit einer Empfindung die nur mit sich selbst zu vergleichen ist, Trümmer auf Trümmer gehäuft, und die Nachwelt auf der Vorzeit dahinschreiten. Es wäre mir unmöglich gewesen laut zu reden, um nicht heilige Schatten zu stören, in ihrem leisen Wehen um uns! Diese Via sacra die ich kaum zu betreten wagte jene Ferne des Aventinischen Berges; die Nähe des Palatinischen, des Kapitolinischen Hügels – Ich erstieg noch keinen! – Diese mächtigen Hallen des Friedens Tempels, und die Riesenmauern des Kolisäums! Lebet wohl für heute! Ich entfliehe Euch und Mir selbst!

Den 14. Nov.

ANGELIKA KAUFMANN.

Sie kam am Morgen gütig meinem Besuche zuvor. Eine Frau zwischen fünfzig bis vier und fünfzig Jahren. Die sanfteste Weiblichkeit, und ein holdes in sich Geschmiegtseyn, karakterisieren diese edle Künstlerin. Ihre Stimme ist das lieblichste Organ einer zart empfindenden [ 8 ]8

Seele, welche, einem getreuen Echo gleich, jeden verwandten Ton zurückgiebt. Sehr schön und ruhighell ist ihr Auge, in dessen still verweilendem Blicke ihr Künstlersinn, wie das Abendroth auf einer reinen Wasserfläche, sich spiegelt. Sie umzeichnet durch dieses Auge gleichsam jeden Gegenstand, bey dem es ver- weilet, mit Anmuth.

ST. GIOVANNI A LATERANO.

Diese Mutter der Kirche ist groß und schön geschmückt ohne Ueberladung. In diesem heitern Tempel steht ein antiker porphyerner Sarkofag, der, wie man mir sagte *), die Gebeine des Markus Agrippa einschloß, aber aus dem Pantheon, welches der große Mann erbante, weggenommen und hiehergesezt ward, wo er die Ueberreste eines Pabstes aus dem Hause Corsini bewahrt. Auf der Treppe vor der Kirche ist die Aussicht entzückend. Rechts liegt Frescati am Abhang des Albanischen Berges. Verflächung und weiter Durchblick

  • ) Freund Hirt sagte mir später: «Dies sey nngewiß.» [ 9 ]9

zwischen den Albanischen und Sabinischen Bergen; das Land der alten Volsker und Equier; Preneste, jezt Palestrina im Thale, dann das Sabiner-Land, die Schneerücken seiner Gebirge, und das weiss blickende Tibur, auf dem Vorberge hingelagert; der Aquedukt prachtvoll durch die Ebne bis ans Gebirg gezogen. Rechts näher das runde Grabmahl der Metella.

KOLISÄUM.

Gestern umblickte ich es nur von aussen. Heute wagte ich mich in die Arena. Mahlerische Theile der hängenden, und im genauesten Wortverstande oft nur schwebenden Mauern, schöner blauer Himmel durch die Hallen glänzend; Fülle des Grüns das diese Gemäuer umstrickt und in die Hallenräume hinabweht. Lorber und Feigenbäume sprengen oft die Steine auseinander mit ihren starren Wurzeln. – Ep pich und Jasmin ranken umher, und scheinen das versinkende Denkmal der Größe mit den zarten Banden der Natur zu umflechten, und [ 10 ]10

von Neuem zusammen zu halten. Wenn Du in die Schattenseite des Gebäudes trittst, umfängt dich die dunkle Größe desselben mit Schaudern, indem du die mächtige Ründung den Luftraum einschliessen siehst, und von der verfallenen Senkung bis zur vollendeten Höhe mit messendem Blicke steigst.

PALATINISCHER BERG.

RUINEN DER KAISERPALLÄSTE.

Hier war mir eine neue alte Welt aufgethan! Wir giengen neben dem Bogen des Titus hinauf, aus dem Schooße dieser Ruinen, wo man neben den Substrukzionen im tiefen Schatten geht, auf altem Gemäuer; wo über den versinkenden Trümmern die schon wieder verfallenden Farnesischen Palläste und Gärten trauern; wo ich hinabblicke ins alte heilige Forum und mit tiefem Ton der Wehmuth alles die Seele umfängt, wo von den Bädern des Titus, die in einzelnen Riesenmassen zerrissen dastehn, über den Esquilin, Palatin, bis an den Aventin, alles ein ungeheurer Schutthaufen [ 11 ]11

ist, auf dem die jetzige Römerwelt wie zerstörte Ameisen herum wimmelt – wo Kolisäum, Bogen des Konstantin und des Titus ehrwürdig dastehn – wo dort die zwey Säulen von Remus und Romulus, hier der See des Kurtius, und die drey Säulen des Jupiter Stator mich in die Wiege Roms versetzen, während ihr, drey majestätische Säulen des Jupiter Tonans, und der Bogen des Septimius Severus, mich gewaltsam hin und her reisset, von der Wiege Roms bis an sein Grab! – Ach, seyd freudig begrüßt, schöne Säulen des Tempels der Eintracht! bey euch verweilet mein Geist mit Liebe, in der Erinnerung an den hohen Kamillus und die schönsten Zeiten Roms! Schön ist der Ausblick unter dem Schatten der von üppiger Vegetation überwölbten, dunkeln Mauern und Hallen, über die Tiber hin und an den Janikulus hinan, der so ruhig daliegt, in der späten Jahrszeit noch mit frischem Grün bekleidet und mit Villen besäet. Dort auf der ersten Stufe liegt die Kirche Pie[ 12 ]12

tro Montorio, und Rafaels Verklärung! Dort auf dem äussersten Gipfel die Villa Millini, in deren Zipressen mein Herz sich hinsehnt; weit hin streben luftig die Pinien der Villa Corsini in reine Lüfte! – Allein immer von neuem zieht der Kapitolinische Hügel meine Blicke an. Er ist mir so sehr nah! Aber noch hält ein inneres Beben mich vom Kapitol zurück! Ich scheue meine eigne Bewegung, wenn ich nun diesen Weg hinangehe – den die Katonen, die Brutusse, die Scipionen betraten. – Ach, Du kennst ia dies Herz, das so oft dem vollströmenden Quell seiner Gefühle erliegt! Wir stiegen von der ersten Terrasse, neben der plätschernden, von Mauerrante und Adiantum umrankten Fontaine hinauf, und ich fand mich unter einem Obdach von dichtverschränkten immer grünen Eichen- und Johannisbrodbaum-Wipfeln, wie in einer dämmernden Grotte. Die Erde ist bedeckt mit Bruchstücken von Säulengestellen, Knäufen, Kornischen und Architraven. Auf einem Säulenblock liegt ein [ 13 ]13

Architrav als Tisch; acht bis zehn Knäufe stehen rings wie Stühle umher; alles ist still, und nur der Marmor redet! Unter die gesenkten Aeste der Eichen sieht man hinab ins Campo vaccino, und dorthin über die Tiber – Welch ein Platz! Und welche Sehnsucht giebt ein hohes Gefühl nach allen Verwandten unsrer Seele!

SONNENUNTERGANG VOM VORPLATZ

DER KIRCHE PIETRO MONTORIO.

Der erste Sonnenuntergang über das zu meinen Füßen hingebreitete Rom! Kaum war ich mir meines Selbst bewußt, und mein schwebender Geist durchflog gleich schüchtern den Zeitraum, der, vom Palatinischen, Kapitolinischen und Aventinischen Hügel, bis an das hohe Kreuz der Peters-Kuppel sich zusammendrängt, und den Luftkreis, der über der unerschöpflichen Fülle dessen, was war und ist, sich wölbt! Monte cavo stieg aus Wolkenrauch wie ein ossianisches Gebilde der Vorzeit empor, und sein Scheitel, der die hohe [ 14 ]14

Burg des Bundesgottes trug, ward vom Abendpurpur begossen! Frascati’s weisse Häuser glühten am Berge. Albano lag im Fernduft. Auf der andern Seite trat Tivoli auf seinem Bergfuß hervor, dunkelblau standen die Sabinen, dunkelblau der Sohn der Ebne, der zackigte Soraktes. Dort steht neben dem grünen Monte Testaccio die graue Pyramide des Cestius, wo die hohe Luise und M...... n, doch unentdeckt von unserm Fernrohr, heute wandeln; denn wir gehen oft jedes seinen eignen Weg, dann wieder zwanglos zusammen, und fliegen wie Bienen umher in den Auen der Kunst und Geschichte, so lange der Tag leuchtet. Abends aber versammeln wir uns, und tragen ein in die Zelle der Erinnerung und Freundschaft.

Noch schweife ich in großen Bögen wie ein schüchterner Vogel an Roms Umrissen herum. Alles ist noch unentwickelte Empfindung. Nach und nach werde ich suchen meine Kreise immer enger zu ziehn. [ 15 ]15

Den 15. Nov.

ST. PAULS KIRCHE.

Der Weg dahin durch Rom ist höchst interessant; unter dem Portikus der Oktavia hin, der jezt mitten im Gräuel des Fischmarkts und der Fleischerbänke steht, dann zwischen dem Doppelbogen des Janus und dem Vesta-Tempel ob der Tiber hin, die weißmarmornen Ruinen des Pons consularis (jezt Ponte rotta) vorbey. Dort wallten vielleicht vom nahen Tempel die Vestalen über den Strom! Hier ist auch der Ort wo Horazius Cocles die Brücke gegen die Tarquinier vertheidigte, und die heilige Tiber den siegreichen bewaffneten Krieger ehrfurchtsvoll ans Gestade trug! Dann fährt man an der andern Seite des Palatins, unter den ungeheuern Ruinen, zwischen ihm und dem Aventin hin, bis an die alte Stadtmauer des Aurelianus, die durch ihre aufgeflickten gothischen Zinken einen sehr grellen Kontrast mit der hohen ernsten Pyramide des Cestius macht, welche triumfirend aus der barbarisch [ 16 ]16

sie umklammernden Mauer hervorstrebt, ein unverwüstbares Symbol der Dauer! Unversehrt von den Elementen steht sie da, und nur das freundliche Leben der Vegetation entkeimt dem weissen mahlerisch angegrauten Marmor. Allein ich fürchte für die Zusammenfügung der Marmorquader den wilden Feigenbaum, diesen Steinsprenger, dessen entlaubte Aeste ich in der Höhe sah. – Nun grade aus bis nach St. Paolo! Einsam liegt die graue ehrwürdige Basilica, und man tritt unwillkührlich verstummend hinein! Kalte Lüfte strömen dir aus dem weiten Raum entgegen, und scheinen lebendig den hohen Säulenhain zu durchwehn! Hundert und zwanzig antike Säulen stehen hier; aber da ich heute allein war, kann ich dir Namen und Vaterland der schönen Fremdlinge nicht verkünden. Aegyptischer Granit prangt in den sanft verschmelzenden Farben des Urstoffs. Säulen von Porphyr tragen die Altäre; vier und zwanzig mächtige marmorne Säulen stehen, zwölf an jeder Seite des langen Schiffes. Sieben ungeheure dorische, von verschiedener Dicke und [ 17 ]17

verschiedenem Gestein, trennen das eigentliche Schiff vom längeren Theil der Kirche. So viel Pracht ohne kleinlichen Schmuck, so viel Einheit, ist für mich wahrer Kirchenstil! Doch ward die schauerliche Majestät dieses Tempels mir zu mächtig, und überhaupt muß ich mich selbst bey dir verklagen! Rom stimmt den wehmüthigen Ton meines Herzens zur tiefsten Melancholie! An eine dieser griechischen Säulen geschmiegt, war mirs, als ob mein Herz im Busen in Thränen dahinquölle! Aber kann es wohl anders seyn, hier wo keine Gegenwart lebt, und nur die Vergangenheit redet? Doch versprech' ich dir, mich zu waffnen so viel ich vermag.

PETERS KIRCHE.

In beginnender Dämmerung, wo der ungeheure und doch eingeschloßne Raum nur noch die kolossalen Massen umschwebte, erschien mir das größte Gebäude der Welt in hoher Herrlichkeit. Wie halb verlöscht flimmerten die hundert silbernen Lampen über dem Grabe der [ 18 ]18

Apostel, durch den Weyhrauch-Dampf. Ich gieng, und gieng, und stand stille – die Ferne vor und hinter mir messend; gieng wieder, ohne sie zu erreichen! Der Schimmer schien zu fliehen, doch ward er heller – wie wenn bey trüber Herbstnacht ein hochwandelnder Sturm das Gewölk von den Gestirnen wegtreibt. – Endlich war ich am Hochaltare, und aus Himmelhöhen floß der Kuppel röthliches Abendlicht noch auf mich herab, während alle vier Ecken des Kreuzes sich in Dunkelheit verlohren. Wie von einem mächtigen Geiste füllte ich mich ergriffen, und an die Stelle geheftet, auf der ich stand. Es war als ob Michael Angelo’s Genius mich anwehte! Dann wandelte ich um den Hochaltar und setzte mich auf die Stufen zu der Tribuna, nah an dem Grabe des Pabstes*), dessen Andenken – die stille Feier dieser Stunde nicht beflecke! Ich verweilte bis zum letzten Aufrufe ehe man die Kirche schloß. Einsam wandelten im werdenden Dunkel einzelne


  • ) Alexander Borgia. [ 19 ]19

Gestalten langsam und halbgesehn, wie Fantome, mir vorbey; wir begegneten uns kaum, um wieder vor einander im Schatten der Pfeiler zu verschwinden! Wie eine nur dahin gestellte Dekorazion erschien Bernini’s Kolonnade, als ich den Tempel verließ. Diesen Eindruck von nur Dekorazion hat mir dieser Zugang zur Peters-Kirche immer und immer wieder aufs neue gemacht. Die überhäufte Menge der Statuen auf dem flachen Dache des Säulenganges, und ein ich weiß nicht was von Unbefriedigtseyn, welches mein Auge immer im Verhältnis der Säulendicke zu ihrem Intervall empfand, mag wohl die mir selbst halb unbekannte unentwickelte Ursache hievon seyn. Ich brachte am Abend noch einige Stunden bey Angelika zu, die hold und still Vieles mit mir redete. Wie ist sie bescheiden! Ich sah immer den Kranz des Blümleins Wunderhold um ihre Stirn.

Den 16. Nov.

Regen in Strömen und Scirocco-Sturm! Dann flüchtet man sich in die Peters-Kirche, die [ 20 ]20

als ein hohes selbstständiges Wesen dasteht, und, innerhalb ihrer ungeheuer dicken Mauern, eine eigene Atmosfäre hat, auf welche die äussere Witterung nur langsam einwirkt, in welche vorübergehende Stürme gar keinen Einfluß haben; weswegen es im Winter der wärmste, im Sommer aber oft ein tödtlichkalter Spatzierplatz ist. Allein, wie drückte mich heute beym Tageslicht die Nähe der ungeheuern Pfeiler! und wie verleidete mir diese glanzvolle, bunte, ungeordnete Pracht den ruhigen Genuß der Größe! Auch nahm ich großes Aergerniß an den Statuen des Bernini, die zum Theil Besessenen gleichen, mit bergansträubendem Haar und durch einen unmotivirten Sturm verblasenen Gewändern. Nein, die Stunde um Sonnenuntergang bis zur Dunkelheit bleibe die Stunde meines Besuchs an die Peters-Kirche, bis ich mich am Anschaun der Größe genug gesättigt habe, um oline Ungeduld unter den geschmacklosen Details das Beßte auszuheben. [ 21 ]21

KAPITOL.

Endlich hinauf! Ein Schauer nach dem andern rieselte mir vom Haupt herab. Denn wenigstens ist doch der Grund alt. Auch zeigt man seitwärts beym Hinaufgang nah an der Höhe Quadersteine nach der Weise der Alten behauen. – Das jetzige Kapitol steht umgewendet, und kehrt seinen hintern Theil dem alten Forum zu! Wir aber giengen hinauf unter die hohen Gestalten der Kapitolinischen Statuen, die ihren ehrenvollen Platz mit Recht einnähmen, auch wenn die Fronte des neuen Kapitols aufs Forum der alten Römer blickte.

Erstes Zimmer.

Kapitolinische Vase. Anmuth der Form; hingegossene Leichtigkeit der Bassi rilievi. Sarkofag mit der Amazonen-Schlacht. Welches Leben in zwanglose Symmetrie geordnet; welche leichten Umrisse der Gestalten; welche Fülle ohne Ueberladung – Sarkofag mit der Fabel des Endymion; keusche Luna, oder vielmehr [ 22 ]22

sanfte Artemis, wohl dem, der so in sorgenfreyer Blüthe des Daseyns von deinem linden Pfeile getroffen wird!

Drittes Zimmer.

Dieser sogenannte Antinous steht für mich da, ein hohes Jdeal der Unschuld, in zartester Blüthe des Lebens, hervorgegangen aus der Fantasie eines edeln Künstlers, würdig in bessern Zeiten zu leben, als die waren, in denen man Antinous vergötterte! Aber welche leise Züge der Trauer in diesem holden Antlitz! Welches Hingesenktseyn bey so viel Fülle des Lebens! “Er ist verpflanzt in arge Zeiten”, und fühlt Roms Schmach! Ach, die Zeiten der Heroen sind vorüber; und zum Heros könnte diese Gestalt hinanreifen? Psyche und Amor stehen ihm gegenüber. Wer nennt diese süsseste aller Gruppen: “Einen zum holdesten Bilde gewordenen Kuß”? Mir scheinen die Gestalten zarter empfunden, als es dem Künstler gelungen ist, die Häupter, und zumal die Gesichter, zu vollenden. Psyche (die einzelne [ 23 ]23

Figur) darnieder gebeugt, schaut ängstlich empor zur Drängerinn! Ganz im sublimen Stil der Niobe-Töchter in Florenz! Eben so zarte Hüllen der Seele sind die unentfalteten Formen dieses Körpers. Sie harrt einer mildern Sonne, und schon die Erde ward ihr zum Tartarus!

Psyche seufzt in tiefer Kerkerhalle, u.s.f.

Dieses ganze Gedicht von Salis umtönte mich, während ich die holde Gefangene anschaute. Aber, o Wehe! Die Felsenlast der Schmetterlingsflügel! Dem ersten Blick scheint sie unter ihnen zu versinken! Man glaubt, daß sie angesetzt sind von einem späteren Künstler. Das Kind mit dem Schwan, ein Urbild kindlichen Frohsinns, naiver Grazie und lieblicher Unbehülflichkeit.

Zweytes Zimmer.

DER GROSSE SAAL.

Der sterbende Fechter machte einen sehr tiefen Eindruck auf mich. Man sieht das todnahe Hinsinken in Antlitz; allein der Körper [ 24 ]24

stützt sich noch durch die mechanische Kraft der geübten ausgearbeiteten Glieder. Die Amazone mit der Wunde. Welcher Schmerz in diesen geschärften Zügen, doch ohne alle Entstellung! Der Marmor scheint zu erbleichen. Die unbedeckten Theile des Körpers verrathen, zumal im Uebergange des Halses zu den Schultern und im stärkeren Rippenbau, so wie an den Muskeln des Unterarms, eine etwas über weibliche Formen hinausgehende Stärke und Entwickelung der Theile. Doch ist die zweyte Amazone mein Liebling, noch ganz jung und mägdlich. Welch Gewand! Und wie rein heben sich die Umrisse dieser Gestalt daraus hervor! Welch ein sanft verlängertes Oval, dieses Antlitz, mit wehmüthigem Ernst behaucht!

Juno des Kapitols. Tadellose reife Schönheit, Pracht und Fülle, sind in dieser Gestalt vereinigt; ruhiges Bewußtseyn, daß sie die erste sey im Olymp und auf Erden! Man schaut sie an mit Bewunderung, ohne liebend zu verweilen. [ 25 ]25

Viertes Zimmer.

BÜSTEN.

Markus Brutus. Dies ist ungewiß, und ward es meinem physiognomischen Gefühl immer mehr, je öfter ich dies Antlitz betrachtete. – Mark Aurel; innige Güte und Feinheit der Empfindung offenbaren sich in diesem Kopf, welcher dem der Natur ganz gleicht. – Der sterbende Alexander war mir eine liebe Erinnerung des Florentinischen, dem er jedoch sehr untergeordnet ist. Dieser ist übrigens nach meinem Gefühl nicht sterbend, sondern bis zum Tode betrübt; vielleicht nach dem Morde seines Freundes. – Kapitolinische Ariadne. Ich that einen Ausruf des Entzückens, wie ich sie sah. Sie ist mir ganz so lieb im Ausdruck ewiger Seligkeit, als Niobe im Ausdruck erstarrenden ewigen Schmerzes. Wie eine Morgenwolke des Thaus schwebt noch eine süße Betäubung über ihrer Stirn, und drückt die Augenlieder sanft herab. – Schöne Ariadne! Du bist noch nicht ganz er[ 26 ]26

wacht aus der Gewitternacht von Naxos zur Herrlichkeit des Olympos! Dein geblendetes Auge vermag noch nicht das volle Licht des Lebens und der Liebe aufzufassen – allein du ahndest doch schon, was du noch nicht begreifest, daß du selig bist; selig wurdest du durch deinen Tod! Denn was sind alle diese Götterentführungen anders, als Sinnbilder schneller sanfter Todesarten – Wagen des Elias? – Faustina, Gemahlin des Mark Aurel, eine der lieblichsten und am weichsten vollendeten Büsten Roms; Leichtsinn, ein Wasserspiegel auf dem jeder Windbauch schnell wieder verglättete Spuren hinkräuselt; übrigens angenehm freundlich, und, wie ich immer mit Wieland glaubte, ohne alles Arge.

Auch war die Fülle von dummen, albernen, tückischen Gesichtern da, wie sie auch heut zu Tage noch unter uns herumlaufen. Köpfe von Weibern mit allen Narrheiten der Mode, aus den Zeiten des versunkenen Roms belastet; z.B. lose Perücken – alle diese Herrlichkeiten, Manufaktur-Arbeit, für klingende Münze gemeisselt. [ 27 ]27

II.

Den 19 Nov.

Der schönste Tag lockte mich ins Freye, und wir machten mit unserm lieben Fernow die kleine Reise nach der Villa Millini auf der Höhe des Janikulus. Ich ritt auf einem schrecklich stoßenden und dabey scheuen römischen Gaul, den Obelisk von Heliopolis vorbey, zur Porta del Popolo heraus, die Via Flaminia entlang bis an Ponte Molle, dann den angenehmen Weg an der Tiber zwischen dem Strom und den kleinen grünen Hügeln, die sich an Monte Mario anlehnen. Es gieng ziemlich steil den Berg hinan, bis an die Villa Madama, die von Giulio Romano erbaut ist, dem Könige von Spanien gehört, und ehedem von der Donna Olimpia v. Parma bewohnt gewesen ist. Hier ward, der Sage nach, die Bartholomäus-Nacht geboren, und ich sah den Ort mit geheimem Grausen. Diese Villa hat ein verödetes Ansehn. Im Garten pflückten wir süße Orangen von einem freyste[ 28 ]28

henden Baum, der die Fülle goldener Aepfel im dunkelglänzenden Laube halb verbarg. Von hier aus, wo die Aussicht hinab sehr reich ist, folgten wir, unter Fernows Leitung, einem kleinen Fußsteige, der an wildbebüschten Hügeln sich hinaufwindet. Alles war grün. Eichen, Brombeeren und Schlehen waren es noch, und die Fülle von immer grünen Stauden und Gebüschen umgab mich, mit der süßen Wirklichkeit dessen, was ich so lang mir erträumte.

Durch die Hügel öfneten sich seitwärts äusserst frappante Perspektiven aufs Tiber-Thal und gegen die nordöstlichen Gebirge. Dunkelblau stand der Soraktes; mit Nebel behängt waren die Sabinischen Berge. Nun hatten wir die hohe freye Wiese des Janikulus erreicht, und Fernow führte mich an den Abhang, auf den Stein eines alten Gemäuers, von wo man einen uneingeschränkten Hinabblick hat, Rom auf seinen ellf Hügeln, das ganze Tiber-Thal und die Campagna überblickt. Wahrlich, ein großer und Seele hebender Augenblick! Ach, wer das alles mit Einem Gefühl, [ 29 ]29

Einem reinen, vollen, kräftigen Gedanken der Ruhe umfassen könnte! Mir ist Roms Jugend so lieb, und ich verweile am liebsten an den vier alten Hügeln, am Theil des Thales gen Albanum, Sabina, u. s. f. mit kindlicher Freude. Anmuthig liegt der Pincius, sein Rücken mit dem Grün von Zypressen, Pinien und Eichen, und den Villen Borghese, Ludovisi, Doria, u. a. m. bedeckt! Nie sah ich einen Strom sich freyer und kühner schwingen, als den Vater Tiberinus durch die Campagna di Roma! Wie schön ist die Biegung, mit welcher er sich um das grüne Schlachtfeld des Konstantius in Ponte Molle hineinschlingt! Sein Gestade ist gut angebaut hier unter mir, und die hohen Lombardischen Schilfkränze*) stehen ihm wohl an. Prachtvoll steigt die Peters-Kirche aus der Prunkstadt des Vatikans; rechts grünen die Gärten Pamfili, links

  • ) An diesem Rohr, das bis zu einer ansehnlichen Höhe aufschießt, werden die Weinreben in der Campagna aufgebunden. [ 30 ]30

die von Korsini auf kleinen Anhöhen; dort liegt auch der untere Theil des Janikulus. Nun wandelte ich unter dem herrlichen gothischen Gewölbe dieser Zypressen-Allee, die einzig ist in ihrer erhabenen melancholischen Schönheit! Unter des schwärzlichen Grünes hoher Wölbung sieht man die verwandte Höhe der Peters Kuppel, und erblickt den jenseitigen Himmel, durch die Fenster der hohen Laterne.

Seitwärts ordnet sich, wie in einer wohl ausgestellten Gallerie, ein Gemälde des überblickten Roms nach dem andern, zwischen den Säulen der Zypressenstämme – oder eine Himmel spiegelnde Krümmung der Tiber schlüpft, ohne die Gestade sichtbar zu berühren, wie zwischen Luft und Erde vorbey; die optischen Täuschungen werden alle Augenblicke neu, und ihre Reize durch die Dünste des Herbsttages erhöht, die in tausend Gestaltungen umhergaukeln. Erst wenn man die dunkeln Massen dieser Kork- und Stecheichen, die himmelan strebende Pinie, die schwankende Schönheit der Zypresse in blaue Lüfte getragen sieht, lernt [ 31 ]31

man die Gruppen und den Baumschlag italienischer Mahler verstehn, und ihre Kühlung säuselnden Schatten. Lieblich war hier auf diesen Natur-Canevas das leichte Dämmern der Olivenbäume am Abhang des Hügels, im Abstich mit den dichten Schatten die seinen Gipfel krönen. Aber über Alles entzücken mich die römischen Fernen, wenn nun die Sonne sinkt, und duftig die Berge sich heben; dort der alte Albaner (jezt Monte Cavo), wo die Burg des Jupiter Latialis stand, wo Frascati (Tusculum) im Purpur am Abhange liegt, und die hohen Schultern aus den Wolken hebt. Die Ebene nach Ostia zu liegt öde, und versank in Dünsten, die bey Sonnenuntergang in wechselnden Farben glänzten; auch die steigende Campagna gen Viterbo liegt in öder Trauer! Wir hatten unser Mittagessen nachkommen lassen, und verzehrten es im Freyen in einer Nische über dem Brunnen, dessen Rand unser Tisch war, und aus dessen Tiefe jeder hinein gerufne Ton mit harmonischem Klang zurückschallt. [ 32 ]32

Den 20. Nov.

VATIKAN.

Ich wandelte heute mit den Freunden; und Hirt, der Treue, war unser Begleiter. Auch Ich bewunderte den Torso, und gewann ihm ein Interesse ab, das ich mir selbst nicht zugetraut hatte. “Ob er auf der Käule geruht – “ob er seine süße Hebe auf den Knieen gewiegt”? das mögen Hirt, Heinze oder Herder entscheiden! Aber die hohe Wahrheit, Bestimmtheit und weiche Vollendung konnte auch ich empfinden. Man sieht, man fühlt die Muskeln mächtig anschwellen auf der ausgebeugten Seite des Körpers, ruhen an der eingebeugten, und wie unter einer Wasserfläche ihre Kraft nur hervorspielend. Apollonius, Nestors Sohn v. Athen, war der große Künstler, der diesen Marmorblock belebte.

Vorsichtig führte Hirt uns ins Cortile del Belvedere, und zeigte uns erst links die schöne porfyrne dorische Säule. – Dann standen wir an der reizenden Herme der schönen Bac[ 33 ]33

chantin – und plötzlich erschien uns Apollo; für mich ganz, einzig und auf immer Gott des Lichts! Fernhinschauer, sendet er Pfeile des Geistes aus der hohen gedankenerfüllten Stirn! Er bedarf nicht den Bogen zu spannen, um zu treffen. Freundlich ist der Mund; Milde eröfnet die rechte Hand; friedlich ruht das Gewand auf der wie zum Rede begleitenden Gestus ausgestreckten Linken. So erschien mir der Apoll des Vatikans; schöner, edler, erhabener als alles, was ich vor ihm sah. Nichts von Hohn und Zorn war mir an ihn sichtbar – allein hier mußte ich scheiden für heute vom Vatikan. Ich kann das Stehen nicht ertragen, und hatte mich vor Apoll so vergessen, dass ich beynah, von plötzlicher Erschöpfung ergriffen, zu seinen Füssen niedergesunken wäre – ein trauriges Opfer!

Ich flüchtete mich zu Angelika, und brachte ihr die Gedichte ihres lieben Landsmannes Salis, als einen Beweis seiner Achtung für sie, mir von ihm anvertraut. Wir verweilten ein Stündchen in ihrer Werkstatt, “dem Tempel der [ 34 ]34

sittlichen Grazien.” Ausser einigen Portraits, die zwar sämmtlich idealisirt waren, mir aber vielleicht um desto besser gefielen, war mir ihr neustes Gemählde, Psyche und Amor, unaussprechlich lieb. Psyche hat unvorsichtig das für Juno aus der Unterwelt geholte Gefäß von Proserpina's Nachttisch eröfnet. Stygische Dünste steigen daraus hervor, umnebeln ihre Sinne, beklemmen ihr Herz – Sie versinkt erbleichend, und senkt, einer geknickten Morgenblume gleich, das zarte Köpfchen auf die Lilienbrust herab, welcher so eben aus den halbgeöfneten, erblaßten Rosenlippen der leztę Hauch entfliehen will. – Allein plötzlich steht Amor, der liebend Allgegenwärtige, neben ihr! Thränen entquellen ihren schon geschlossenen Augen. Mit seinen goldenen Locken faßt er die fallenden Perlen auf. – Seelige Psyche! Es war die letzte Prüfung! Die verschwebteste Leichtigkeit, und ein holder ätherischer Reiz sind über dies Gemälde verbreitet. – Die zarten Umrisse, in denen Psyche fast sichtbar nur verhüllt ist, sind vielleicht das Geistigste, [ 35 ]35

was je ein Pinsel hervorgebracht hat *). Hier vernahm ich mit Freuden aus Angelika's Munde, daß Apollo auch Ihr denselben Eindruck beym ersten Anblicke gemacht; daß auch Sie weder den Besieger des Python, noch weniger den grausamen Vertilger der holden Kinder Niobe's in ihm ahnde, sondern die ewig heitre und milde Klarheit des Gottes des Lichts und der Musen.

Abends zog eine Leichenprocession unsere Fenster vorbey. Die vermummten Gestalten der schwarz und weiß verlarvten Begleiter zogen, Fackeln tragend, in langer Reihe den Spanischen Platz hinauf an der Propaganda hinweg. Die Todte lag unbedeckt im offenen Sarge, und der Mond schien ihr aufs bleiche Leichengesicht. Es war bis zum Entsetzen schauerlich.

*) Dies Gemälde befindet sich jetzt in der Sommerwohnung der regierenden Fürstin von Anhalt-Dussan, zu Luisium bey Dessau. [ 36 ]36

Den 21. Nov.

KAPITOL.

Heute war der gelehrte Antiquar Zoega mein Begleiter; dieser bescheidne Weise, den Rom ehrt, und den wir Dänen mit Stolz als unseren Landsmann uns zueignen. Wie gerne gehe ich mit ihm! Sein stiller humaner Sinn, und die melancholische Empfänglichkeit seiner Seele, stimmen so sehr in meine Art zu sehen, und seine Belehrungen sind, so faßlich, als sein Geschmack fein ist. Beneide mich um die Führer, unter denen ich Glückliche wählen darf!

Wir verweilten heute besonders bey den Sarkofagen, aus deren sanfter Bildersprache der zarte, alles mit dem Grazienschleyer umhüllende Geist der Griechen dir noch wie verhallende Harmonien entgegen tönt, und Sokrates und Platons Weisheit aus dem verstummenden Grabe himmelan steigt. Besonders merkwürdig ist der kleine Sarkofag rechts an der Thüre des ersten Zimmers. Mit der Fabel des Prometheus beginnend, folgt der zarte Jdeengang, [ 37 ]37

durch eine Reihe seelenvoller und holder Bilder, dem Leben durch Aufgang und Mittag, bis ans stille Schatten-Thor des Todes. Aurora entsteigt dem Ocean; Prometheus raubt dem Vulkan den belebenden Funken; Mnemosyne naht, und Minerva mit dem Schmetterling, dem Belebten, um dies Leben zu beseelen, durch Bewußtseyn und Erinnerung. Psyche und Amor stehen in süßer Umarmung – Mittag und Vollendung des Daseyns durch Liebe! Helios strahlt das Mittagslicht der Fülle und des Lebens auf sie herab. Was zwischen Liebe und Tod unser ödes Daseyn verlängert, überschwebt der Geist des Griechen*)! Merkur erscheint, der stille Schattenführer! Die Parzen vollenden ihr Werk! Der Genius senkt seine Fackel über dem Entschlafenen, und Prometheus büßt mit ewiger Reue, nagen-

  • ) Der Stil dieses Basreliefs verräth ohngefähr das vierte Jahrhundert. Allein noch ist der griechische Jdeengang darinn. Am kurzen Hauptende stehen Adam und Eva mit der Schlange; also war vielleicht der Todte ein Christ. [ 38 ]38

dem Geyer, daßs er das Unsterbliche mit dem Vergänglichen gepaart, und die leichtschwebende Psyche in den engen Kerker gebannt hat! Die andern Sarkofage dieses Zimmers, mit dem Raub der Proserpina, dem Endymion in Morfeus Schooße (dem die leicht wandelnde Göttinn, vom Amor geführt, leise naht), mit der Amazonen-Schlacht, der Geschichte der Chryseis, den Musen; und Plato, Sokrates oder Homer an den Endstücken – führen dich alle in die, wie von einem heitern Abendlicht, eröfnete Welt reizender Bilder und hoher Resultate der erhabensten Philosophie und Dichtung, und in die schöne Blüthenzeit des menschlichen Geistes zurück! Schillers Strofe umtönte mich:

Da trat noch kein scheußliches Gerippe

An das Bett des Sterbenden; ein Kuß

Nahm das lezte Leben von der Lippe.

Still und traurig senkt ein Genius

Seine Fackel, sanfte heitre Bilder

Scherzen selbst um die Nothwendigkeit,

Und des Schicksals Spruch erscheint uns milder

Durch den Schleier sanfter Menschlichkeit. [ 39 ]39

Ich sagte diese Strofe Zoega’n aus dem Gedächtnisse; sie entzückte diesen Griechen wie mich. Ich schreibe sie hier wieder aus dem Gedächtniß ab, und bitte Schillern um Verzeihung, wenn ich etwa, unversehens, durch ein unrechtes Wort die Harmonie des Verses beleidige. – Warum gab er uns nicht schon längst die Sammlung seiner zerstreuten Gedichte? Warum muß man so manches geliebte Herzenslied immer erst aus den Zeitschriften zusammensuchen?

Ich begrüßte aufs neue meine Lieblinge unter den Statuen, und Zoega zeigte mir die für authentisch erkannten unter den Büsten. – Ach, Nero, Domitian, Karakalla, Geta (jener schaut wild mit Mörderblick auf den Bruder), Klaudius – Scheusale!! Sanfter Mark-Aurel, und du große Agrippine, ich flüchte zu euch – Wie tief ist der lang erduldete, tief verbissene Schmerz im Antlitz Agrippinens eingegraben! Interessant ist die Folge der vier Mark-Aurel-Köpfe, vom Knaben bis zum Jungling und Mann hinan! Wie die jugendliche Fröh[ 40 ]40

lichkeit der Unschuld der heissern Sonne des mühsamen Thron-Lebens weicht – und so nach und nach das Gesicht des trauten, sorgenvollen, treuen Alten, mit allen seinen Kummerfalten entsteht! Ich wollte heute nichts Neues sehn; nur eine schöne Büste der Ariadne zeigte mir Zoega noch. Sie ist trauernd auf Naxos, und interessant als Gegenstück der Großen. Dann die Ideal-Büsten der Saffo, des Plato, Homer, und Epikur.

Den 22. Nov.

Hinaus zur Porta Pia, den sogenannten Bacchus-Tempel vorbey, auf den Hügel über den Steinbrüchen der Puzollana, wo ehedem das Lager des Kamillus gegen die Gallier stand! Unser lieber Hirt erklärte uns alles im vor uns hingebreitetem Gefilde der Vorwelt. – Unter uns strömte der Anio (jezt Teverone) durchs Thal. Dort war der heilige Berg (ein kaum erhabener Hügel), von dem Menenius Agrippa durch die sinnreiche Fabel von dem Bauch und den Gliedern das entrüstete [ 41 ]41

Volk beruhigte und nach Rom zurückführte, wo dann die Tribunen kreirt wurden. Dort jenseits dem Anio standen bey der zweyten Belagerung Roms die Gallier. Hier die Römer diesseits; dies Flüßchen nur war zwischen ihnen. – Dort schritt der gallische Goliath trotzig einher, und Manlius Torquatus errang den ehrenvollen Beynamen, und wusch die Schmach des Vaters von der Familie ab, den Schimpf des Tarpejischen Todes. Dorthin über dem Blachfeld und der Brücke lag das Landhaus des Faon, wo Nero nach ehrlosem Leben eines elenden Todes starb – welches Feld jezt Sarpentara heißt. Rechts erscheint von einem Hügel zum andern der Aquedukt des Markus Agrippa, der das der Diana geweihete Wasser der Aqua Virgo nach Rom leitet, wo es in die Fontana Trevi sich ergießt, und als das beßte und reinste Wasser von Rom noch jezt unter dem Namen Aqua Virgo bekannt ist. Links stehen die Kalkgebirge Sabinums; dann hebt sich aus der Senkung dazwischen der Bergstoß des Albanischen und [ 42 ]42

Fraskatischen Hügels, und der hohe Monte Cavo (alles Volkane der alten Welt) mit den Waldumgebnen Seen von Nemi und Albano. Dort stand das sabinische Quirinum auf dem Hügel (das Ganze ist der Algidus der Alten); und die zu den Füssen der hohen Sabinen hingereihten Monticellen waren mit Städten bedeckt, welche jede zu ihrer Zeit die junge Roma umsonst zu unterdrücken strebten. Welch Leben der Bevölkerung in diesem jetzt so menschenleeren Thale! – Dort rechts endlich stand Kollatia, wo Lukrezia fiel und starb, um sich wieder zu erheben! [ 43 ]43

III.

Rom, den 22. November 1795.

VILLA LUDOVISI

Der Ludovisische Mars, oder nach unsers Hirts Meinung ein Theseus, wo Ariadne der Gruppe fehlt, schien mir gleich, und immer mehr, eine der edelsten und mildesten Gestalten aus der Welt der Ideale. Schön ist das stille sich selbst ahnende Antlitz, prächtig die ausgearbeitete Fülle des Körpers, an dem besonders der Rücken im Stil des Torso sich auszeichnet. Schön ist der junge fröhliche Faun an der Thür, mit nicht bäurischer Roheit, sondern voll ländlicher Anmuth in den lächelnden Zügen. Der Körper ist trocken gearbeitet; es ist nicht die Götterfülle bedürfnißloser Jugend, sondern ein schöner schnell aufgeschossener Hirtenknabe, noch etwas mager vom Wachsen. Hirtenstab, Panflöte und Rehhaut sind als Attribute neben ihm. Der Rumpf eines jungen Bacchus ist von bewundernswürdiger weicher Schönheit, und in seiner lieblichen Fülle steht